Titel
L'acte pontifical et sa critique.


Herausgeber
Große, Rolf
Reihe
Studien und Dokumente zur Gallia Pontificia 5
Erschienen
Anzahl Seiten
VI, 305 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Müller, Historisches Institut, RWTH Aachen

Papsturkunden und ihre Fälschung stehen im Mittelpunkt des Sammelbandes, der eine Tagung vom Jahr 2005 dokumentiert. Exakt zehn Jahre nach Erscheinen des vorausgehenden vierten Bandes der Reihe werden darin in erster Linie Fortschritte des Regestenwerks Gallia Pontificia präsentiert, das die Papsturkunden für französische Empfänger bis 1198 flächendeckend verzeichnen soll. Die meisten der zwölf Beiträge schöpfen unmittelbar aus der Erschließungsarbeit. Es dominieren daher Studien zu Echtheitsmerkmalen und Fälschungskontexten einzelner Urkunden oder Urkundengruppen.

Ludwig Vones, Le faux acte pontifical du pape Léon VII (BZ² †148) pour l’abbaye de Ripoll et ses repercussions diplomatiques (S. 1-14), macht als Anlass der Fälschung Konflikte zwischen den Bistümern Gerona und Vic glaubhaft, in denen der Bischof von Vic dem Verlust seiner Hoheit über Ripoll vorzubeugen suchte. Rolf Große, Die beiden ältesten Papsturkunden für das Domkapitel von Paris (JL 3949 und 3951) (S. 15-30), charakterisiert die beiden Stücke Johannes' VIII. als Scheinoriginale oder „Kopien in Form eines Originals“ (S. 19), spricht sie vom Fälschungsverdacht frei und ediert ihren Text. Gérard Moyse, Deux couples de privilèges pontificaux du XIe siècle pour Saint-Claude. Léon IX (1050) et Jean (faux), Pascal II (mars et avril 1100) (S. 31-50), bietet eine kritische Parallel-Edition der vier Stücke für die Abtei im Jura. Laurent Morelle, Par delà le vrai et le faux. Trois études critiques sur les premiers privilèges pontificaux reçus par l’abbaye de Saint-Bertin (1057-1107) (S. 51-86), widmet sich Privilegien Viktors II., Urbans II. und Paschalis' II. und deckt Interpolationen und Verwendungshintergründe auf. Ursula Vones-Liebenstein, Le faux privilège de Gélase II pour Psalmodi ou Saint-Silvestre de Teillan, une église convoitée (S. 87-109), geht davon aus, dass die schwankend als Fälschung oder copie figurée bezeichnete Urkunde angefertigt wurde, um im Streit mit Saint-Ruf ein Delegationsmandat zu erwirken. Fünf Dokumente aus dem Konflikt der Abteien um Saint-Silvestre aus den Jahren 1082-1155 sind angefügt. Ludwig Falkenstein, Fälschung oder Nachzeichnung? Das Privileg Alexanders III. vom 31. Dezember 1176 (JL 12748) für die Abtei Saint-Thierry (S. 139-211), weist in ausführlichster Analyse nach, dass die auf originaler Vorlage beruhende Nachzeichnung des Privilegs gemessen am Wortlaut der Vorurkunden einige bewusste inhaltliche Manipulationen enthält. Er datiert ferner die Mandate JL 12984 und 12639 präziser als bisher und ediert fünf Papsturkunden (JL 10245, 12144, 12639, 12748, 14590) sowie eine Bestätigung Erzbischof Heinrichs von Reims für Saint-Thierry. Bernard de Vregille, Un mandement inédit de Grégoire IX a des juges délégués du 8 décembre 1237 (S. 225-228), macht den Wortlaut einer Kommissorie bekannt, die in einem umfangreicheren Prozessdossier erhalten ist.

Gisela Drossbach, Eherechtliche Fälschungen als „Ersatznormen“ in Dekretalensammlungen des 12. Jahrhunderts (S. 213-223), fragt am Beispiel dreier Dekretalen der Collectio Francofurtana nach den Motiven der Kanonisten, gefälschte Dekretalen in ihre Sammlungen zu übernehmen. Sie sieht darin das Bemühen, Lücken in der juristischen Norm um der Systematisierung willen zu schließen. Ob die Kompilatoren seinerzeit überhaupt um die Unechtheit der Stücke wussten oder auf der anderen Seite gar an deren Fabrikation Anteil hatten, wird nicht erörtert.

Überlieferungsfragen wendet sich zu: Jean-Daniel Morerod, Le „polycopiage“ de privilèges cisterciens par la chancellerie de Clément V durant la querelle de l’exemption. Notes sur la vie des documents pontificaux (S. 295-305). Die exemplarische Untersuchung von 14 Chartularen/Klosterarchiven aus Frankreich und dem Arelat legt nahe, dass selbst grundlegende Papsturkunden für den Orden, wie etwa das Exemtionsprivileg Lucius' III. von 1184, höchst selten in den Archiven der einzelnen Zisterzienserabteien vorhanden waren; Cîteaux scheint solche Dokumente exklusiv bewahrt zu haben. Dieser Befund relativiert die oft angenommene serielle Vervielfältigung päpstlicher Privilegien zum Gebrauch in den einzelnen Zisterzen. Lucius’ Schlüsseltext beispielsweise gelangte erst 1309 in großer Zahl in Umlauf, als Papst Gregor V. ihn anlässlich der Anfechtung der zisterziensischen Exemtion als Vidimus von seiner Kanzlei in großer Stückzahl expedieren ließ.

Vorrangig erschließenden Charakter haben folgende Beiträge: Gunnar Teske, Cluny, la France et la papauté. La collection épistolaire de Pierre le Vénérable (S. 111-138), der die Kontakte zwischen dem Papsttum und dem burgundischen Reformkloster präzise analysiert, dazu 66 Regesten aus dem bekannten Briefwechsel zusammenstellt und durch einen Index erfasst. Dietrich Lohrmann, Delegatio cum articulis et interrogatoriis annexis. Die prozessrechtliche Wende im Streit um die Reliquien des heiligen Eligius (1256) (S. 229-264), behandelt einen Abschnitt des reich dokumentierten Prozesses, in dem die Prokuratoren der Abtei das noch junge Positionalverfahren zu Gunsten der Mönche zu nutzen verstanden. Die im Anhang edierten Materialien, darunter ein Extrakt aus dem Prozessbericht des Abtes, die Artikel der Kontrahenten zur Beweisaufnahme, vor allem aber die destruktive Fragestrategie, welche die klösterlichen Bevollmächtigten in dieser Hinsicht entwickelten (Nr. 6), geben Einblick in die Praxis der Prozessführung. Alexandra Chirkova, Papsturkunden für französische Kirchen aus Sammlungen in St. Petersburg (11.-13. Jahrhundert) (S. 265-294), weist auf beachtliche Bestände mittelalterlicher Urkunden hin, die durch Sammler nach Russland gelangten. Sie ediert 14 die Gallia betreffende Papsturkunden teilweise erstmals: fünf für Saint-Jean-des-Vignes bei Soissons (JL 5391, 5729, 7124, JL–, Potthast –), drei für Saint-Bertin (Diöz. Thérouanne, JL 13315, 15020, Potthast –), zwei für Corbie (JL–, Potthast –), je eine für Cluny (Potthast –), für Buillon (Diöz. Besançon, JL 10550), für Lützel (Diöz. Basel, JL 13491), für Saint-Cloud (Diöz. Paris, JL–). Das Fragment einer Urkunde für den Abt von Corbie (Nr. 10) dürfte dem Exordium zufolge im Zusammenhang mit einem Rechtsstreit stehen; das Kopfregest ist in seiner allgemeinen Formulierung daher ein wenig irreführend.

Der Band zeigt den Fortgang der Gallia pontificia ebenso deutlich wie die Stolpersteine des discrimen veri ac falsi, ohne das jede Erschließung von Urkunden ihren Wert einbüßt. Die teils akribischen Untersuchungen führen zu unmittelbaren Klärungen im Detail, werfen aber auch grundsätzliche Fragen der Echtheitsbewertung auf. So werden Scheinoriginale, Nachzeichnungen bzw. copies figurées in mehreren Beiträgen angesprochen. Die schwankende Nomenklatur und ihr Gebrauch lassen ahnen, dass hier auch noch Präzisierungen in der Sache erforderlich sind. Angesichts der Beiträge von Morelle und Falkenstein beschleicht den Rezensenten eine gewisse Beklommenheit bei dem Gedanken an die zahlreichen Urkunden zweifelhafter Authentizität, die solch eingehender Untersuchungen noch harren. Wer den geradezu forensischen Indizien-Aufwand verfolgt, den Falkenstein treiben muss, ehe er am Ende ein bislang als Nachzeichnung eingestuftes Privileg als Fälschung erweisen kann, der kommt um die Erkenntnis kaum umhin, dass es in solchen Fällen mit dem üblichen Instrumentarium der Papstdiplomatik kaum getan ist. Zur hilfswissenschaftlichen Expertise muss eine tiefe Vertrautheit mit Geschichte und Überlieferung der jeweiligen Empfängerinstitution treten. Das stellt extreme Anforderungen an die potenziellen Bearbeiter. Gerade für die Gallia pontificia, der mit rund 100 zu bearbeitenden Diözesen Frankreichs ein ambitioniertes Ziel gesteckt ist, bleibt daher zu diskutieren, wie die hohe Zuverlässigkeit der Urkundenerschließung zum Wunsch nach zügiger Bearbeitung in ein ausgewogenes Verhältnis gesetzt werden kann.

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